Blasen, Blutzucker, Durchbruch: Die Physiologie des Extrems bei 24h-Märschen

24 Stunden am Stück gehen. Kein Schlaf. Kaum Pausen. Und doch: immer weiter. Was nach einem Selbstversuch an der Grenze des Machbaren klingt, ist für viele Teilnehmer des Mammutmarschs gelebte Wirklichkeit. Dabei geht es nicht allein um die Kilometer. Die wahren Herausforderungen liegen tiefer: im Energiestoffwechsel, in der Thermoregulation, in der Schmerzverarbeitung. Dieser Artikel beleuchtet die physiologischen Prozesse, die bei Extremmärschen ablaufen, und zeigt, warum solche Events den menschlichen Körper auf einzigartige Weise fordern – und formen.

Der Stoffwechsel im Ausnahmezustand

Während eines 24h-Marschs verbrennt der Körper konstant Energie. Die Speicher in Leber und Muskeln (Glykogen) reichen nur für wenige Stunden moderater Belastung. Danach greift der Organismus auf andere Quellen zurück:

  • Fettreserven: Sie liefern Energie, aber nur langsam. Das Tempo sinkt, die Ausdauer steigt.
  • Muskelabbau: Bei unzureichender Energiezufuhr beginnt der Körper, Eiweißstrukturen zu verwerten.

Wer sich nicht strategisch ernährt, riskiert einen Hypoglykämie-Absturz mit Symptomen wie Zittern, Reizbarkeit oder Schwindel. Entscheidend ist daher:

  • Regelmäßige Zufuhr von Kohlenhydraten (z. B. Riegel, Trockenfrüchte, Isodrinks)
  • Elektrolytausgleich, um Muskelkrämpfen und Konzentrationsverlust vorzubeugen

Der Fettstoffwechsel wird effizienter

Je länger man in der Belastung bleibt, desto besser wird der Körper darin, Fette zur Energiegewinnung zu nutzen. Trainierte Ausdauersportler können bei niedriger Intensität einen Großteil ihrer Energie über Fette decken. Das spart Glykogen und verzögert die Erschöpfung.

Haut, Blasen, Wundscheuern: Wenn die Barriere versagt

Blasen an den Füßen sind kein Nebenschauplatz, sondern ein ernstzunehmendes physiologisches Problem. Reibung, Feuchtigkeit und Druck führen zu Epidermisablösung und Infektionsrisiken. Besonders betroffen sind:

  • Ferse und Ballen
  • Zehenzwischenräume
  • Achillessehnenbereich

Prävention und Management

  • Sockenwechsel alle 4–6 Stunden
  • Antiblasencremes und Tape-Techniken
  • Schuhe gut einlaufen und auf Passform achten
  • Füße trocken halten, ggf. mit Talkum oder Fußpuder

Eine schlecht versorgte Blase kann in wenigen Stunden zu einer massiven Gangveränderung führen – mit Folgen für Knie, Hüfte und Rücken.

Muskelermüdung und Überlastungsschmerzen

Lokale Erschöpfung

24-Stunden-Märsche belasten insbesondere:

  • Waden- und Schienbeinmuskulatur (dauerhafte Dämpfung)
  • Oberschenkel (vor allem bergab)
  • Fußmuskulatur (Stabilisation und Balance)

Typisch sind Mikroverletzungen, sogenannte Mikrotraumata, die sich in Form von Muskelkater, Schwellungen oder punktuellem Schmerz zeigen.

Biomechanische Kompensation

Der Körper reagiert auf Schmerzen oft mit Schonhaltungen, was zu ungewöhnlichen Bewegungsmustern führt. Die Folge:

  • Asymmetrische Belastung
  • Verspannungen im Nacken- und Rückenbereich
  • Erhöhtes Verletzungsrisiko durch Stolpern oder Umknicken

Gezieltes Training vorab kann helfen, die Muskulatur an diese Dauerbelastung zu gewöhnen.

Schlafentzug und kognitive Leistung

Ein oft unterschätzter Aspekt bei 24h-Märschen ist der Schlafentzug. Die Folgen reichen von Konzentrationsmangel bis hin zu Halluzinationen. Studien zeigen:

  • Schon nach 17 Stunden ohne Schlaf sinkt die Reaktionsfähigkeit auf das Niveau von 0,5 Promille Alkohol im Blut.
  • Nach 24 Stunden sind Entscheidungen stark verlangsamt, die Unfallgefahr steigt.

Viele Teilnehmer berichten in der zweiten Nachthälfte von surrealen Momenten, emotionaler Labilität und einem stark veränderten Zeitempfinden. Hier zeigt sich: Der Mammutmarsch ist auch eine Reise ins eigene Gehirn.

Der mentale Durchbruch: Wenn Schmerz zur Botschaft wird

Trotz oder gerade wegen der physischen Strapazen berichten viele Teilnehmer von einem tiefgreifenden „Durchbruch-Erlebnis“:

  • Das Empfinden, über sich hinausgewachsen zu sein
  • Das Wiederentdecken innerer Stärke
  • Ein Gefühl der Kontrolle in einer Welt voller Unberechenbarkeit

Neurologisch lassen sich diese Phasen mit Endorphin-Ausschüttungen und dem sogenannten „Second Wind“-Effekt erklären. Doch was rational beschrieben werden kann, bleibt für viele ein zutiefst emotionales Erlebnis.

Jenseits des Limits: Warum Extreme den Alltag verändern

24-Stunden-Märsche wie der Mammutmarsch sind mehr als sportliche Herausforderungen. Sie sind ein Labor für Selbstüberwindung, Stressphysiologie und mentale Entwicklung. Wer sich vorbereitet, den eigenen Körper versteht und respektiert, kann nicht nur sicher teilnehmen, sondern auch weitreichende Erkenntnisse für das Leben gewinnen.

Denn wer einmal gelernt hat, mit Blasen zu gehen, wird vieles andere im Alltag mit neuem Blick betrachten.